SEM – Der falsche Weg – Die geplante Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme für den Münchner Nordosten

Dr. Patrick Bühring

Bereits im Jahre 2011 hat der Stadtrat der Landeshauptstadt München einen Beschluss zur  Einleitung von vorbereitenden Untersuchungen für eine Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme gefasst. Der zu untersuchende Bereich liegt im größtenteils nur locker bebauten bzw. unbebauten Nordosten Münchens und umfasst insgesamt rund 600 Hektar. Die bereits seit mehr als 6 Jahren andauernden Untersuchungen sollen voraussichtlich erst im Laufe des Jahres 2019 mit Vorlage eines integrierten Strukturkonzeptes abgeschlossen werden. Dann möchte die Landeshauptstadt München endgültig entscheiden, ob tatsächlich eine sog. Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) eingeleitet wird.

Das Vorgehen der Landeshauptstadt und die darüber in der Öffentlichkeit geführte Diskussion führt zu großer Verunsicherung und Verärgerung auf Seiten der betroffenen Eigentümer. Im gleichen Maße groß sind die Erwartungen derjenigen, die glauben, durch eine solche Maßnahme tatsächlich die Wohnungsnot in München lindern zu können. Mit den nachfolgenden Ausführungen möchten wir die wesentlichen Fragen rund um eine solche Entwicklungsmaßnahme beantworten und unsere Auffassung zur Sinnhaftigkeit des von der Stadt München eingeschlagenen Weges dartun.

Was ist überhaupt eine SEM?

Bei der Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM) handelt es sich um ein in den §§ 165 ff. des Baugesetzbuches (BauGB) geregeltes städtebauliches Instrument, mit dem Kommunen u.a. neue Ortsteile erstmalig entwickeln und einer Bebauung zuführen können. Vereinfacht gesagt, ermöglichen es die gesetzlichen Regelungen der Kommune sämtliche im Entwicklungsgebiet gelegenen Grundstücke – auch gegen den Willen der Eigentümer – zu einem sehr günstigen Kaufpreis zu erwerben und ggf. zu enteignen und sodann das Gesamtgebiet zu überplanen und vollständig zu erschließen. In einem zweiten Schritt werden sämtliche Flächen von der Kommune wieder veräußert und dabei sichergestellt, dass sie auch tatsächlich der geplanten Bebauung zugeführt werden. Sofern bei diesem Vorgehen bei der Kommune nach Abzug sämtlicher Erwerbs-, Planungs-, Entwicklungs- und Erschließungskosten Planungsgewinne entstehen, sind diese an die ursprünglichen Eigentümer der Flächen nach einem bestimmten Schlüssel wieder herauszugeben. Erfahrungsgemäß entstehen solche Planungsgewinne jedoch meist nicht. Vielmehr haben sich Kommunen, die zu diesem Instrument in der Vergangenheit gegriffen haben, oftmals verschuldet.

Was bedeutet eine SEM für die Eigentümer der von ihr betroffenen Grundstücke?

Für die Eigentümer der von einer SEM betroffenen Grundstücke entstehen schwerwiegende Nachteile. Denn die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme ist darauf angelegt, dass die Kommune sämtliche Grundstücke im Planungsgebiet erwirbt. Sofern ein Eigentümer nicht verkaufen möchte, kann er unter erleichterten Bedingungen enteignet werden. Hinzu kommt, dass als Kaufpreis bzw. Enteignungsentschädigung nicht der tatsächliche Verkehrswert der Flächen im Zeitpunkt des Ankaufs bzw. der Enteignung gezahlt wird, sondern lediglich der sog. entwicklungsunbeeinflusste Verkehrswert der Grundstücke in dem Zeitpunkt, in dem die Kommune die Einleitung der für die Maßnahme vorbereitenden Untersuchungen beschlossen hat. Im Falle des Münchner Nordostens müsste also lediglich der Verkehrswert der Grundstücke zum Stichtag 2011 gezahlt werden. Dies dürfte in vielen Fällen zu Kaufpreisen im mittleren zweistelligen Bereich je m² führen. Faktisch führt die Maßnahme also für viele betroffene Eigentümer dazu, dass sie – ob sie wollen oder nicht – ihre Flächen verlieren und zudem hierfür nicht einmal einen aus unserer Sicht angemessenen Kaufpreis für Bauerwartungsland erhalten. Insbesondere für Landwirte ist dies bitter, da sie sich für die geleistete Entschädigung nur schwerlich Ersatzland kaufen können. Letztlich führt eine solche Entwicklungsmaßnahme also dazu, dass auf Kosten der ursprünglichen Eigentümer der Flächen die Kommune ihre städtebaulichen Ziele zu verwirklichen sucht.

Was hat die SEM für den Wohnungsbau bisher gebracht?

Nichts. Seit der im Jahre 2011 eingeleiteten vorbereitenden Untersuchungen und einer im Jahre 2017 von der Stadt erlassenen Vorkaufssatzung ist der hiervon betroffene Münchner Nordosten hinsichtlich neuer und größerer baulicher Entwicklungen vollständig blockiert. Das wird auch noch viele Jahre so bleiben, bis feststeht, ob tatsächlich einmal eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme eingeleitet wird oder nicht. Durch die Einleitung der vorbereitenden Untersuchungen wurde also zunächst einmal die Schaffung von dringend benötigten Wohnbauflächen auf Eis gelegt.

Selbst wenn die vorbereitenden Untersuchungen dazu führen sollten, dass eine SEM durchgeführt wird, heißt dies noch lange nicht, dass dann tatsächlich in absehbarer Zeit Wohnungen geschaffen werden. Vielmehr wird es voraussichtlich Jahrzehnte dauern, bis die im Zusammenhang mit dieser Zwangsmaßnahme untrennbar verbundenen verwaltungsgerichtlichen Prozesse letztinstanzlich entschieden sind, für die Flächen über Bauleitpläne Baurecht geschaffen ist und die Flächen komplett erschlossen wurden. Viele der heute bei der Landeshauptstadt München verantwortlich Tätigen werden dies nicht mehr erleben. Wie langwierig städtische Maßnahmen sind, zeigt allein die Tatsache, dass die Stadt München selbst für einfach gelagerte und vergleichsweise kleine Baugebiete teilweise bis zu zehn Jahre (!) benötigt, um einen Bebauungsplan aufzustellen. Diese Flächen sind dann aber noch nicht erschlossen. Angesichts des riesigen Gebietes des Münchner Nordostens und der damit einhergehenden infrastrukturellen Probleme die es nicht nur planerisch, sondern auch ganz praktisch zu lösen gilt, dürfte eine Baureifmachung dieses Gebiets gut und gerne Jahrzehnte dauern. Auch die Tatsache, dass bereits seit dem Jahre 2011 vorbereitende Untersuchungen stattfinden, die noch bis ins Jahr 2019 andauern werden, spricht dafür, dass diese Prognose durchaus realistisch ist. Im Übrigen zeigen auch die Erfahrungen mit anderen staatlichen oder kommunalen Großprojekten, dass die Verantwortlichen auf Behördenseite oftmals überfordert sind (etwa Flughafen Berlin-Brandenburg). Hinzu kommt, dass die Landeshauptstadt München in der Vergangenheit zwar mehrere Einleitungsbeschlüsse für eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme beschlossen hat, jedoch – soweit ersichtlich – noch niemals eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme dann tatsächlich durchgeführt und abgeschlossen hat. Es fehlt daher auch der Verwaltung an praktischer Erfahrung mit diesem speziellen städtebaulichen Instrument.

Warum ist die SEM der falsche Weg für München und welche Alternativen gibt es?      

Wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, führt das Vorgehen der Stadt im Falle des Münchner Nordostens nicht dazu, dass in absehbarer Zeit dringend benötigter Wohnraum geschaffen wird. Hinzu kommt, dass es ohne weiteres möglich wäre, mit dem vorhandenen Instrumentarium, über das die Landeshauptstadt München verfügt, in deutlich kürzerer Zeit viele tausend Wohnungen zu schaffen. Hierfür müssten lediglich in Kooperation mit den Grundeigentümern auf Augenhöhe städtebauliche Verträge geschlossen und Bebauungspläne aufgestellt werden. Oftmals bedienen sich die Grundeigentümer dabei der Hilfe von professionellen Projektentwicklern oder veräußern ihre Flächen an Bauträger, die dann reibungslos und unter Anwendung der von der Stadt entwickelten Grundsätze der sozialgerechten Bodenordnung (SOBON) gemeinsam mit der Stadt Baugebiete entwickeln. Da in diesen Fällen die SOBON zur Anwendung gelangt, entstehen bei diesen Entwicklungen auch eine große Anzahl an erschwinglicheren Eigentums- und/oder Miet- und Sozialwohnungen. Zudem ist eine Beteiligung der Grundeigentümer an den Folgekosten eines solchen Baugebiets und eine vollständige Übernahme der Planungs- und Erschließungskosten durch die Privaten gesichert. Durch ein solches Vorgehen profitieren alle: die Grundeigentümer, weil sie dem Wert ihrer Flächen entsprechend einen angemessenen Kaufpreis erhalten. Die Stadt, weil sie quasi zum Nulltarif ihre städtebaulichen Ziele erreicht. Und die Wohnungssuchenden, weil in absehbarer Zeit neue Wohnungen entstehen. Das Argument der Stadt, welches gegen ein solches Vorgehen eingewendet wird, trifft nicht zu. Behauptet wird, dass die Eigentümer nicht in ausreichender Zahl bereit wären, sich an solchen Baulandentwicklungen zu beteiligen. Das ist falsch und widerspricht unserer mittlerweile vierzigjährigen Erfahrung in diesem Bereich. Vielmehr finden sich immer Eigentümer, die bereit sind, sich von Ihren Flächen zu angemessenen Preisen zu trennen. Oftmals ist es aber die Stadt, die aus nicht nachvollziehbaren Gründen entweder nicht aktiv auf die Eigentümer zugeht oder aber die Entwicklung von bestimmten Flächen ablehnt. So ist etwa nicht nachvollziehbar, weswegen die Stadt sich auf der einen Seite darüber beklagt, dass Landwirte zum Verkauf nicht bereit seien, auf der anderen Seite aber auch nicht bei der Beschaffung von Ersatzland behilflich ist. Dabei ist die Stadt selbst Eigentümerin von 10 landwirtschaftlichen Gütern und insgesamt rund 2500 Hektar landwirtschaftlicher Flächen in und um München.

Was kann man tun, wenn die Stadt dennoch an der SEM festhält?

Selbstverständlich ist die SEM wegen der mit ihr verbundenen erheblichen Eingriffe mit hohen gesetzgeberischen Hürden versehen wird. So darf sie etwa nur eingesetzt werden, wenn es keine gleich geeigneten Mittel gibt, um die erklärten städtebaulichen Ziele zu erreichen. Auch muss gewährleistet sein, dass die SEM in einem absehbaren Zeitraum durchgeführt wird, wobei die bislang bekannte Rechtsprechung hierfür einen Zeitraum von 9 bis maximal 17 Jahren für möglich erachtet. Auch muss die Finanzierung der gesamten Entwicklungsmaßnahme sichergestellt sein und dies auch nachgewiesen sein.

Gegen den Erlass einer Entwicklungssatzung der Landeshauptstadt München kann und sollte daher von den betroffenen Eigentümern in einem ersten Schritt ein Antrag auf Normenkontrolle erhoben werden. In diesem Verfahren wird dann geprüft, ob die Stadt überhaupt befugt ist, dieses Instrument einzusetzen. Aus heutiger Sicht gehen wir davon aus, dass ein solches Verfahren zur Aufhebung der Satzung führt, weil der Stadt der Nachweis der gesetzlichen Voraussetzungen für die Wahl dieses speziellen Instruments nicht gelingt.

Sollte dies – wider Erwarten – nicht eintreten, bleibt natürlich immer noch die Möglichkeit, sich als betroffener Eigentümer bei den von der Stadt eingeleiteten Ankaufsverhandlungen bzw. bei den sich ggf. anschließenden Enteignungs- und Besitzeinweisungsverfahren anwaltlich vertreten und beraten zu lassen.

Bei Fragen rund um das Thema SEM steht Ihnen zur Verfügung:

Dr. Patrick Bühring
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verwaltungsrecht

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